Crossdressing, Trans und Job?

Ich habe immer davon geträumt, mein Leben als das, was ich bin, ganz offen und normal leben zu können, wie Jede_r andere auch. Leben und arbeiten wie alle Anderen, ohne Bonus, aber auch ohne Malus wegen meiner Neigungen zum Tragen femininer Kleidung.

 

Noch vor wenigen Jahren hätte ich nicht zu träumen gewagt, daß das einmal Wirklichkeit für mich werden könnte.

 

Nachdem ich mich bei meinen Lieben, Kindern, Partnerin, Freunden und Verwandten geoutet hatte, blieb ein letzter Schritt noch unerledigt: das Outing im Job.

 

Zu groß war die Angst, arbeitslos und heimlich von den "Personalern" als Fetischistin verortete Tunte auf dem beruflichen Abstellgleis und im Hartz IV- Aus zu landen.

 

Doch der Spagat zwischen dem Auslebenkönnen meiner Neigungen in Freizeit und Familie und dem ständigen Zurückkehrenmüssen in die ungeliebte männliche Geschlechterrolle im Berufsalltag haben mich zermürbt.  

 

Ich habe, bildlich gesprochen, so manche blutige Träne geweint, wenn ich am Sonntagabend meine lackierten Fingernägel abschminken, am Ende meines Urlaubs noch zwanghaft einen Samstagstermin im Nagelstudio vereinbaren und wahrnehmen musste, um mich von meinen Gelnägeln zu verabschieden (meine kleine Nagelfee schüttelte einmal resigniert den Kopf: "Die sind doch noch wunderschön...").

 

Ja, sie sind wunderschön und ich würde sie um alles in der Welt gerne behalten. Aber Montagfrüh muss wieder der testosterongestählte Multifunktionsverwalter auf der Matte stehen, unangreifbar und ohne Fehl und Tadel.

 

Montag früh: wieder in diesen scheiß Nadelstreifenanzug steigen, Männerschuhe, Machogehabe...

 

Ich habe es gehaßt.

 

Es hat mich an den Rand der Selbstzerstörung geführt- Alkohol bis zum Knockout, ich war fertig.

 

Während der Entziehung im Krankenhaus habe ich erste zaghafte Versuche unternommen, meine femininen Neigungen auzuleben: Nagelstyling, Strumpfhosen, Damenjeans und Pumps, feminine Oberteile.

 

Das war überhaupt kein Problem, denn alle dort auf der Suchtstation haben mindestens ein Problem: Alkohol und/oder Drogen. Da kommt es auf ein weiteres "Problem" offensichtlich nicht mehr an.

 

Auch die Schwestern, Therapeuten und Ärzte nahmen es gelassen; es gab viel Anlass zu Flachsereien, bsp. wenn ich mich mit den Schwestern über unser jeweiliges Nagelstyling austauschte.

 

Dadurch ermutigt, habe ich während der 16-wöchigen Reha mein Leben ganz als Frau geführt. Nur einer tolerierte das nicht, aber das war auch gut so: es ist wichtig, sich gegen Menschen mit ablehnender Haltung zu immunisieren, denn die wird es immer geben.

 

Viel schwieriger war der berufliche Selbstfindungsprozeß. Was  will ich zukünftig machen? Bin ich offen für einen völlig neuen Berufsweg? 

 

Mit 55 Jahren keine ganz leichte Entscheidung, doch statisches Verharren auf einmal erreichten Positionen würde mir möglicherweise Wege eher verbauen als neu öffnen, so war ich mir sicher.

 

Also: auf zu neuen Wegen!

 

Crossdressing, Trans und Job!

Es war schon  ein großer Schritt für mich, in meiner kaffigen Heimatstadt zur Fotografin zu gehen und ein Bewerbungsfoto im weiblichen Outfit machen zu lassen.

 

Ganz solide: weiße Bluse, schwarzer Blazer, dezentes Makup und dennoch verunsichert; "Läßt sich da was machen?"- "Natürlich!"

 

Dann: Bewerbungen schreiben. Ich bin völlig offen und texte im letzten Satz meines Bewerbungsanschreibens, daß ich zwar die Vornamens- und Personenstandsänderung anstrebe, da aber erst am Anfang stehe. Und ich weise auf die Diskrepanz zwischen dem männlichen Vornamen in meinen Urkunden und Zeugnissen und meinem weiblichen Wunschvornamen in meiner Bewerbung hin.

 

Ein Spiel mit offenen Karten. Wer mich "deshalb" nicht will, sortiert sich dann schon von vornherein aus, denke ich.

 

Das erspart mir dann viel Arbeit, Zeit und Kosten, denn zu ergebnislosen Vorstellungsgesprächen wird man so deutlich weniger eingeladen.

 

Ich erhalte nur Zusagen und kann es mir letztendlich aussuchen. Gut, es ist Berlin, die Wirtschaft boomt im Augenblick. Die Ansichten sind möglicherweise auch nicht so verschroben, wie im Rest der Republik. Dennoch bin ich überrascht. So positiv hätte ich mir die Resonanz auf meine Bewerbungen nicht vorgestellt.

 

Out im Office

Die Entscheidung fiel bei mir ganz spontan- wer antwortet am schnellsten, wer kommt am nettesten rüber-

 

Das Bewerbungsgespräch nach meiner Vorauswahl bestätigte meine ersten Eindrücke: Ich wurde nicht nur beim Telefoninterview, sondern auch bei der Vorstellung konsequent als "Frau H." angesprochen. Es gab keine Vorbehalte oder diskriminierende Äußerungen, das setzt man eigentlich bei solchen Vorstellungsgesprächen voraus und darf es nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) auch voraussetzen, doch in manchen Unternehmen wird dennoch nach wie vor ein subtiler Sexismus gepflegt. 

 

Hier war nichts davon der Fall. Es zählt nur, was du leistest, nicht, wie du aussiehst oder was du bist.

 

Im Vorstellungsgespräch war ich mit der Personalerin und einem Azubi konfrontiert. Sie fragte mich anstandshalber, ob er dabei sein könne. Ich lächelte und bejahte.

 

Natürlich ging es auch um fachliche Dinge, aber sie wollte auch wissen, wie ich zu diesem beruflichen Downgrading käme. Immerhin habe ich mit meiner vorherigen Beschäftigung 40% mehr verdient. Ich erklärte es ihr- mir ist es wichtiger, so leben zu können, wie ich bin, als die große Kohle zu verdienen.

 

Aber sie war auch neugierig und fragte mich nach meinem Werdegang als Transe. Als ich ihr sagte, daß ich wisse, daß sie diese Fragen gar nicht stellen dürfe, ich sie ihr aber trotzdem beantworten würde, lief sie leicht rot an.

 

Und Lena ist hinreichend schmerzfrei, um selbst solche Situationen souverän zu meistern.

 

 Meine Erfahrungen:

 

* Nicht auf erreichten Lorbeeren ausruhen, sondern auch völlig neue berufliche Wege in Betracht ziehen und sich offen für Neues zeigen;

 

* Höflich und direkt und auf jeden Fall authentisch auftreten; das verschämte Verschweigen der eigenen Biografie und der männlichen Vorexistenz zeigen lediglich Unvermögen, mit Brüchen im eigenen Leben umzugehen und Probleme bei der Konfliktbewältigung;

 

* Starker Auftritt mit offenem Umgang mit der eigenen Biografie offenbart hingegen Stärken im Umgang mit Konflikten und Problemfeldern;

 

* Zeige deine Fähigkeiten, dich immer wieder an Neues (Aufgabenfelder, Rahmenbedingungen, Teams & Kollegen) anzupassen, dazu zu lernen und an deinen Aufgaben zu wachsen.

 

Natürlich gibt es auch Arbeitsbedingungen, die völlig neu, mindestens aber anders sind, als in der männlichen Arbeitswelt.

 

Anders, als Männer für gewöhnlich glauben, schauen Frauen in der Regel nämlich nicht zuerst auf Männer- das hätten die wohl gerne- sondern auf die Frauen neben sich.

 

Die "Nebenbuhlerin" wird darauf hin abtaxiert: was hat die, was ich nicht habe. Aufmerksam wurde ich auf diese Zusammenhänge durch eine Kollegin, die zu einem Kollegen in der Firma eine Beziehung pflegt.

 

Sie kam vor meinem Eintritt in die Firma immer in Hosen zur Firma. Gebürtige Frauen sind sich ihres Status sehr sicher und haben es deshalb nicht nötig, sich über allzuviele feminine Details zu definieren.

 

Doch ich als CD habe das nötig. Ich hasse Hosen, selbst Leggins sind mir ein Greuel. Gleichzeitig habe ich aber Zugriff auf einen Riesenfundus an weiblicher Kleidung, die ich im Laufe der Jahre gesammelt habe und jetzt langsam abtrage. Ich kann übers Jahr fast jeden Tag was Neues anziehen, zumindest neu kombinieren.

 

Und so stellte ich nach wenigen Tagen meines neuen Berufslebens fest, dass mich fragliche Kollegin nicht nur nicht mehr grüßte, sondern demonstrativ vor mir mit ihrem Lover aus dem Büro rumknutschte (was ich im Job sowieso für abqualifizierend halte), und auch plötzlich die Nagelstudios und Modeboutiquen für sich entdeckt zu haben scheint.

 

Mal sehen, wie das Wettrüsten im Büro ausgeht...

Ein Fazit

Nach weit mehr als einem Jahr im neuen Job nach meinem Coming out auch im beruflichen Umfeld möchte ich ein Fazit ziehen.

 

Es hat sich gelohnt!

 

Ich möchte die Freiheit nicht mehr missen, mich jeden Tag, jede Stunde und wann und wo immer ich bin, mein feminines Leben führen zu können.

 

Am Anfang hatte ich Angst, daß ich den hohen Aufwand mit epilieren, rasieren, Outfit und Styling nicht durchhalten würde, und ständig als unangenehme Transe anecken würde- unrasierte Beine in Strumpfhosen, Bartschatten, tuntige Outfits, Stylingfehler... alle diese Klischees gingen mir durch den Kopf und machten mir Angst.

 

Wie würden mich meine Kollegen aufnehmen: blöde Anmache, anzügliche Sprüche, oder?

 

Wie würden die Kolleginnen reagieren: Ablehnung, Ärger im Büro, weil ich die Damentoilette benutze oder ähnliches?

 

Würde mein Arbeitsweg, der mich durchaus auch zu ungünstigen Zeiten mitten durch Kreuzberg führt, zum Spießrutenlauf ausarten?